Wenn die Reklame keinen Erfolg hat, muss man die Ware ändern. – Edgar Faure
16 Grafische Oberflächen mit Swing
16.1 Das Abstract Window Toolkit und Swing 

Die Programmiersprache Java, die sich das Ziel gesetzt hat, plattformunabhängige Softwareentwicklung zu unterstützen, muss auch eine Bibliothek anbieten, um grafische Oberflächen zu gestalten. Eine Bibliothek sollte dabei im Wesentlichen die folgenden Bereiche abdecken:
- Sie beherrscht das Zeichnen grafischer Grundelemente wie Linien und Polygone und ermöglicht das Setzen von Farben und die Auswahl von Zeichensätzen.
- Sie bietet grafische Komponenten (GUI-Komponenten), auch Steuerelemente oder Widgets genannt, wie zum Beispiel Fenster, Schaltflächen, Textfelder und Menüs.
- Sie definiert ein Model zur Behandlung von Ereignissen wie Mausbewegungen.
16.1.1 SwingSet-Demos 

Um sich einen Überblick über die Swing-Komponenten zu schaffen, hat Sun unter den JFC-Demos des JDK (etwa C:\Programme\Java\jdk1.6.0\demo\jfc) verschiedene Beispiele veröffentlicht. Die in den weiteren Unterordnern enthaltenen Demos sind als Jar-Datei verpackt und können mit einem Doppelklick gestartet werden. Seit Java 6 Update 10 ist SwingSet3 mit dabei, ein interessantes Swing-Demo, welches über die Technologie WebStart aus dem Internet gestartet wird. Die readme.hmtl-Datei referenziert auf die URL http://download.java.net/javadesktop/swingset3/SwingSet3.jnlp, die wir auch in den Browser einsetzen können, um das Beispiel zu starten.
16.1.2 Abstract Window Toolkit (AWT) 

Die erste API von Sun zum Aufbau grafischer Oberflächen war das Abstract Window Toolkit (AWT). Sie bietet Methoden für die Primitivoperationen zum Zeichnen, zur Ereignisbehandlung und einen Satz von GUI-Komponenten. Da das AWT jedoch sehr einfach gehalten ist und professionelle Oberflächen nur mit Mühe erstellbar sind, sind für die Abkürzung »AWT« noch einige hämische Deutungen im Umlauf: »Awful Window Toolkit«, »Awkward Window Toolkit« oder »Annoying Window Toolkit«.
Peer-Klassen
Eine Besonderheit vom AWT ist, dass sie jede grafische Komponente in Java auf eine Komponente der darunterliegenden Plattform abbildet. Dazu bedient sich das AWT so genannter Peer-Klassen, also Partner auf der Seite der speziellen Benutzeroberfläche. Eine Schaltfläche unter AWT leitet somit die Visualisierung und Interaktion an eine Peer-Klasse auf der Betriebssystemseite weiter. Damit sehen AWT-Anwendungen unter Windows so aus wie jede andere Windows-Anwendung, und für Anwendungen unter Mac OS oder X11 gilt das Gleiche.
Die Partner haben Vor- und Nachteile:
- Durch die nativen Peer-Klassen verhält sich die Oberfläche exakt so, wie erwartet, und ist optisch nicht von anderen nativen Programmen zu unterscheiden.
- Leider zeigen die Programme unter den verschiedenen Betriebssystemen bisweilen merkwürdige Seiteneffekte. So kann ein Textfeld unter Windows weniger als 64 K Zeichen aufnehmen, bei anderen Oberflächen ist dies egal.
- Da das AWT auch nur Komponenten anbietet, die auf jeder Plattform verfügbar sind, ist das Angebot an Widgets sehr beschränkt. Moderne grafische Elemente, sei es auch nur ein Icon auf einer Schaltfläche, bietet das AWT nicht an.
Da jede AWT-Komponente Ressourcen von der nativen Plattform bezieht und diese außerhalb der Speicherverwaltung von Java liegen, nennen sich diese Komponenten schwergewichtige Komponenten (engl. heavyweight components).
16.1.3 Java Foundation Classes 

Obwohl das Abstract Window Toolkit das Problem einer einheitlichen Benutzeroberfläche lösen sollte, ist dies Sun nicht ganz gelungen. Das AWT war von Anfang an zusammengepfuscht. So meint auch James Gosling: »The AWT was something we put together in six weeks to run on as many platforms as we could, and its goal was really just to work. So we came out with this very simple, lowest-common-denominator thing that actually worked quite well. But we knew at the time we were doing it that it was really limited. After that was out, we started doing the Swing thing, and that involved working with Netscape and IBM and folks from all over the place.« [Das Interview vom 24. März 1998 lässt sich unter http://java.sun.com/javaone/javaone98/keynotes/gosling/transcript_gosling.html nachlesen.] Von AWT 1.02 auf AWT 1.1 hat Sun ein anderes Ereignismodell eingeführt, das die Basis für Swing legte.
Da Sun das AWT einfach hielt, Entwickler von Oberflächen jedoch einen unstillbaren Hunger nach Komponenten haben, konzipierte Netscape die Internet Foundation Classes (IFC), die das AWT in wesentlichen Punkten ergänzten. Im April des Jahres 1997 einigten sich Sun, Netscape und IBM auf eine GUI-Bibliothek, die auf Netscapes IFC aufbaut und das AWT in der Java-Version 1.2 erweitert. Der Name des Toolkits, mit dem wir heute noch arbeiten, ist JFC (Java Foundation Classes).
Bestandteile der Java Foundation Classes
Die Java Foundation Classes bestehen im Wesentlichen aus:
- Swing-GUI-Komponenten. Unter die Swing-Set-Komponenten fallen ganz neue grafische Elemente. Diese sind, anders als die plattformabhängigen Peer-Komponenten des herkömmlichen AWTs, fast vollständig in Java implementiert. Während viele Swing-Komponenten gar keine Beziehung zu AWT-Komponenten haben, gilt das nicht für alle. Ein javax.swing.JFrame basiert zum Beispiel auf der AWT-Komponente java.awt.Frame, denn JFrame ist eine Unterklasse von Frame.
- Pluggable Look & Feel. Dies gibt uns die Möglichkeit, das Aussehen der Komponenten zur Laufzeit zu ändern, ohne das Programm neu zu starten. Alle Komponenten des Swing-Sets haben diese Fähigkeit automatisch.
- Java 2D API. Die 2D-Funktionsbibliothek ist eine neue Technik, die über eine Objektbeschreibung – ähnlich wie PostScript – Objekte bildet und diese auf dem Bildschirm darstellt. Zu den Fähigkeiten der Bibliothek gehört es, komplexe Objekte durch Pfade zu bilden und darauf Bewegungs- und Verschiebeoperationen anzuwenden.
- Drag & Drop. Daten können mittels Drag & Drop leicht von einer Applikation zur anderen übertragen werden. Dabei profitieren Java-Programme auch davon, Daten zu nutzen, die nicht aus Java-Programmen stammen.
- Accessibility: Unterstützung für Menschen mit Behinderungen. Diese API erlaubt mit neuen Interaktionstechniken Zugriff auf die JFC- und AWT-Komponenten. Zu diesen Techniken zählen unter anderem Lesegeräte für Blinde, eine Lupe für den Bildschirm und auch Spracherkennung.
Swing-Komponenten sind ein wesentlicher Bestandteil der JFC, und oft wird in der Öffentlichkeit »Swing« als Synonym zu JFC angesehen.
Als 1997 in San Francisco auf der JavaOne die neuen Komponenten vorgestellt wurden, entschied sich Georges Saab, ein Mitglied des JFC-Teams, für Musik parallel zur Präsentation, und zwar für Swing-Musik, weil der Entwickler glaubte, dass sie wieder in Mode käme. Dementsprechend wurden die neuen grafischen Elemente in einem Paket namens Swing abgelegt. Obwohl der Name offiziell dem Kürzel JFC weichen musste, war er doch so populär, dass er bestehen blieb. |
Übersicht über Swing-Komponenten
JLabel |
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JButton |
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JCheckBox |
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JRadioButton |
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JTextField |
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JPasswordField |
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JComboBox |
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JScrollBar |
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JSlider |
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JSpinner |
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JProgressBar |
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JList |
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JTabbedPane |
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JToolBar |
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JMenu |
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JScrollPane |
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JTree |
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JTable |
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JEditorPane |
Leichtgewichtige Swing-Komponenten
Eine Leichtgewicht-Komponente (engl. lightweight component) verfügt über keinen Peer, also über keine direkte Repräsentation im Fenstersystem. Somit gibt es keine speziellen Implementierungen des Systems beispielsweise auf Windows, Mac OS oder X11. Alle Komponenten werden mit primitiven Zeichenoperationen gemalt, so etwa eine Schaltfläche aus einem Rechteck mit Schatten und einem Text in der Mitte. Ein Vorteil: Eine Leichtgewicht-Komponente kann durchsichtig sein und muss nicht mehr in einen rechteckigen Bereich passen. Da alle Komponenten nun gemalt werden, lässt sich alles ohne Rücksicht auf das unterliegende grafische System zeichnen. Dieser Weg ist also plattformunabhängiger, aber nutzt nicht unbedingt alle optimalen Möglichkeiten wie zum Beispiel Antialiasing des Betriebssystems oder einer Plattformkomponente wie den komplexeren Dateiauswahldialog.
16.1.4 Was Swing von AWT unterscheidet 

Wir werden in diesem Buch nicht mit AWT-Komponenten arbeiten, aber dennoch wesentliche Unterschiede aufzählen:
- Swing bietet viel mehr Komponenten als AWT. Das AWT bietet zum Beispiel keine Tabellen oder Bäume.
- Schaltflächen und Labels nehmen Symbole auf, die sie beliebig um Text angeordnet darstellen.
- Swing-Komponenten können transparent und beliebig geformt sein; eine Schaltfläche kann wie unter Mac OS X abgerundet sein.
- Jede Swing-Komponente kann einen Rahmen bekommen.
- AWT-Komponenten arbeiten nicht nach dem Model/View-Prinzip, nach dem die Daten getrennt von den Komponenten gehalten werden.
- Die AWT-Methoden sind Thread-sicher, es können also mehrere Threads zur gleichen Zeit Methoden der AWT-Komponenten aufrufen. Die meisten Swing-Methoden sind nicht Thread-sicher, und Entwickler müssen darauf achten, dass Parallelität keine problematischen Zustände erzeugt.
Die Untersuchung stellt klar, dass Java nicht ausschließlich im Bereich Middleware (Stichwort Java EE) zu finden ist, sondern eine ausgezeichnete Umgebung für GUI-Applikationen unter Windows, Linux, Mac OS X ... bildet. |
Mit den JFC lassen sich attraktive, gut funktionierende grafische Oberflächen entwickeln. Eine Untersuchung der Evans Data Corporation aus dem Jahr 2005 fand heraus: 43 % der Java-Entwickler beschäftigen sich mit Desktop-Applikationen, 41 % mit Java EE-Technologien und 4 % mit Mobile Java. |
16.1.5 Die Klasse Toolkit 

Die abstrakte Klasse Toolkit abstrahiert von system- und bildschirmabhängigen Implementierungen. Es gibt für jede Plattform eine Implementierung der abstrakten Klasse, unter Windows zum Beispiel die interne Klasse WToolkit. Das konkrete Toolkit-Objekt liefert die Fabrikfunktion getDefaultToolkit(). Die implementierten Methoden liefern dem AWT zum Beispiel die Peer-Objekte, doch für uns Endanwender ist das kaum interessant.
Beispiel Gib die Maße des Bildschirms aus: Dimension d = Toolkit.getDefaultToolkit().getScreenSize(); System.out.println( d ); // java.awt.Dimension[width=1024,height=768] |
abstract class java.awt.Toolkit |
- static Toolkit getDefaultToolkit()
Liefert das aktuelle Toolkit zurück.
- abstract Dimension getScreenSize()
Liefert ein Dimension-Objekt mit der Größe des Bildschirms. (Bei mehreren Bildschirmen nur den ersten.)
- abstract void beep()
Versucht, einen Beep auszugeben. Diese Lösung ist nicht in allen Fällen von Erfolg gekrönt. In einigen Fällen funktioniert stattdessen System.out.print('\007'); System.out. flush();. Eine ganz andere Möglichkeit ist es, Sounddateien abzuspielen, etwa über MIDI.